Quellnymphen der antiken Mythologie

In der antiken Mythologie sind die Musen Quellnymphen, neun Schwestern, die vom griechischen Vatergott Zeus mit Mnemosyne – der Göttin der Erinnerung und Tochter von Uranos und Gaia – gezeugt wurden. Auf dem berühmten Fresko von Giulio Romano aus dem Pallazo Pitti in Florenz (gemalt um 1540) tanzen die Musen zusammen mit ihrem Halbbruder Apoll, den Gott der schönen Künste. Vielleicht tanzen sie ja zusammen auf dem griechischen Berg Helikon, dem Sitz der Musen nahe ihren heiligen Quellen Aganippe und Hippokrene, die das geflügelte Pferd Pegasus mit einem Hufschlag erschaffen haben soll, und deren Wasser die Genialität der Dichter beflügelt.

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»Tanz Apollons mit den Musen« (1540) von Giulio Romano (1499-1546) | Palazzo Pitti Florenz

Calliope – Die Schönstimmige – zuständig für Epik, Technik und Rhetorik
Clio – Die Rühmende – zuständig für Geschichtsschreibung und Gesang
Erato – Die Liebevolle – zuständig für Liebeslyrik
Euterpe – Die Erfreuende – zuständig für Feste, Musik und Lyrik
Melpomene – die Singende – zuständig für Drama und Melodik
Terpsichore – Die fröhlich im Reigen Tanzende
 – zuständig für den Tanz und den Chor
Thalia – Die Blühende – 
zuständig für Musik, Dichtung und Komödie
Polyhymnia – Die Hymnenreiche
 –  für Lyrik, Musik, Tanz, feierlichen Gesang und Geometrie
Urania – Die Himmlische
 – zuständig für Astronomie und Didaktik

Museen – Tempel für die Musen

Im alten Griechenland baute man den Musen Tempel, in denen sie verehrt und in denen mit ihrer Hilfe sowohl die Künste als auch die Wissenschaften entwickelt und gefördert wurden – man nannte einen solchen Ort »Museion«. Eine Zeit, als die Arbeit an und für Kunst und Wissenschaft noch nicht räumlich und logisch getrennt war. Wer heutzutage die Musen finden möchte, sucht in den Museen der Welt leider vergeblich. Ursprünglich Stätten der werdenden und aktiven Kunst sind sie heute eher ein Lagerplatz für fertige Kunstwerke. Die Musen sind dort zusammen mit den Kunstschaffenden ausgezogen und haben andere Wohnstätten gefunden. Wir müssen diese Entwicklung aber vielleicht gar nicht allzu sehr beweinen, denn so kann jeder von uns, wenn er möchte, seinen Tempel der Muse in sich selbst entdecken.

Der Musenkuss

Diese Schutzgöttinnen der Künste werden seit der Antike als göttliche oder genialische Inspirationsquelle für Künstler genannt. Seither lassen sich die Kreativen dieser Welt durchaus gerne von der Muse küssen. Ursprung ist die antike Vorstellung, dass Ideen nicht selbst entwickelt, sondern von Göttern oder eben Musen von außen eingegeben werden. So mancher Künstler aber, der sich eine geniale Eingebung erhofft, wartet vergebens auf den ersehnten Kuss, denn die Musen sind launisch – oder ist uns ihr göttlicher Charakter vielleicht nur nicht mehr bekannt? Und dann – plötzlich und wie aus heiterem Himmel – macht es Klick und die zündende Idee erscheint, die Quelle sprudelt wieder. Was ist passiert? Ohne hier auf Allgemeingültigkeit zu pochen, wage ich zu behaupten, dass der Musenkuss jeden Künstler – ob bewusst oder unbewusst – immer aus der Mitte des gedankenfreien Raums ereilt. Die Inspiration, der Gedankenblitz, erreicht uns jenseits von Zeit. Die Muse sucht für ihren Kuss die Lücke zwischen den Gedanken, unseren Schlaf, oder wenn wir lachend mit etwas völlig anderem beschäftigt sind. Badewanne, Dusche und das stille Örtchen sind nicht ohne Grund bei vielen beliebt, die mit Nachdenken und Grübeln nicht mehr weiterkommen.

Ars Vivendi – die Lebenskunst

Nun mag es sein, dass sich nicht jeder als Künstler im engeren Sinne sehen mag, aber es gibt eine Kunst, an der jeder Mensch von Natur aus interessiert ist, eine Kunst, für die wir allesamt angeborene Fähigkeiten mitbringen – ars vivendi – die Lebenskunst! Der Begriff wird heute schnell mit Kulinarischem und Lifestyle verknüpft, aber im Grunde umfasst er unsere gesamte Sinnlichkeit. Alles, was wir mit denn Sinnen unseres Körpers erspüren und erfahren, können wir wie Künstler auch ins Kreative weiterentwickeln. Der Genießer leckeren Essens kann, wenn er will, die Lust am Kochen entdecken. Der Naturliebhaber gewinnt Freude am Gärtnern und viele Menschen lassen sich durch die Formenvielfalt und natürlichen Werkstoffe der Natur zu Hobbys inspirieren.

Lebenskunst äußert sich aber auch vor allem in der Fähigkeit, den natürlichen Fluss des Lebens zu erkennen und mit der Kraft dieser Strömung die täglichen Herausforderungen und Abenteuer zu meistern. Bevor wir uns also das nächste Mal mit Widerstand gegen etwas stellen, das in unser Leben getreten ist und das uns vielleicht Kopfzerbrechen oder Probleme bereitet, könnte es ein Versuch wert sein, innezuhalten und dem Fluss zu vertrauen. Mit wilden Schwimmbewegungen gegen den Strom schwinden nicht nur unsere Kräfte, sondern wir sehen auch das Ufer nicht, das längst in erreichbarer Nähe ist und wo uns die Musen bereits winkend erwarten.

Es ist freilich eine Kunst, inmitten des turbulenten Alltagsgeschehens so wach zu bleiben, dass uns die Lichtblicke nicht entgehen. Dazu ist es hilfreich, mit erhobenem Kopf durchs Leben zu schreiten und ab und zu in den Himmel zu blicken. Zwischen den Gedanken-Wolken blitzt die Sonne ständig hindurch, wenn wir nur hinschauen.

Feinde der Musen

Wir leben in einer Zeit, in der Wellness, gesundes Leben und Glücksforschung mehr und mehr Einzug in die populären Medien finden. Was auch immer man von der mediengerechten Aufbereitung dieser Themen halten mag – ohne ein gesteigertes Interesse an uns selbst und unserem geistig und körperlichen Wohlergehen wäre diese Entwicklung nicht möglich. Da bleibt es nicht aus, dass so manchem ein Licht aufgeht und die sogenannten Wichtigkeiten des Alltags eine neue Betrachtung erfahren. Man mag erkennen, dass Rastlosigkeit, der Mangel an »freier« Zeit und das zwanghafte Denken die Todfeinde der Musen sind. Diese lebensbejahenden Damen lassen sich gerne nieder, wo man singt, musiziert, spielt, tanzt und die Zeit einfach vergisst. Ja, natürlich ist das möglich – wir können Zeit einfach vergessen –, und was man vergessen kann, ist nichts als ein Gedankengebilde, eine Seifenblase unseres Verstandes. Dennoch versklaven wir uns an diese Vorstellung, an diese Konstruktion und teilen unser Leben in kleine messbare Einheiten von Sekunden bis hin zu Jahren ein. Nicht auszudenken, was geschehen würde, wenn auf einen Schlag alle Uhren stillstünden.

Unsere Kreativität, wie auch immer sie sich äußert, ist die Kraft aus jener Quelle, die die Musen bewohnen, mit der sie uns beschenken, wenn wir sie nicht wegschicken. Wir spüren es, wenn sie uns durchströmt und genießen die Lebendigkeit, mit der sie uns erfüllt.

Nun dachte ich zuerst, dass diese Serie hier zu Ende sei, aber ich habe mich entschlossen, noch eine Zugabe zu geben: die Parabel vom »Meisterdieb« aus Momoko. Sie beschreibt die wunderbare Verwandlung eines schlafenden Künstlers und der Sieg der Kreativität über die Konventionen.

So heißt es daher noch einmal: Fortsetzung folgt.

Foto: © The Yorck Project | 10.000 Meisterwerke der Malerei

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One Response to Inspiration und Muse – 2. Die Quelle der Musen – Ursprung unserer Kreativität

  1. Anna sagt:

    Den Musenkuss muss man zulassen, nur wer ihn zulässt kann ihn auch erhalten. Auch am stillen Örtchen 🙂 Die Möglichkeit es zuzulassen liegt in einem selber. Erlaube dir die Zeit für die Muse, und du erhältst den inspirativen Musenkuss, der in diesem Leben die Kreativität ermöglicht und die künstlerische Seite in dir zu wecken vermag.

    Anna

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