Verpennt

Es geht doch nichts über ein erholsames Kurzschläfchen – doch – Achherrje! Es ist schon 6:45 und die Männerbande liegt noch kreuz und quer im Bett herum. »Aufstehen, wir haben verpennt«, flüstere ich Joy ins Ohr und öffne dann den Vorhang. Eine folgenschwere Blitzentscheidung für den Tag steht an: Treibe ich die Herde jetzt an und dann ohne Frühstück aus dem Haus, oder versuche ich zügig aber ohne Hektik das Bestmögliche? Ray wird freundlicherweise von selbst munter und wir kuscheln uns wach. Er geht heute zum Doc und braucht daher keine Verpflegung für den Waldkindergarten. Also nur der Große und natürlich noch Frühstück zubereiten. Hustenkonzert – wie seit Tagen. Die Hustensaftgallerie taugt nicht wirklich was und wandert noch heute in den Müll. Da greif ich doch am Besten wieder zum Hausrezept: Zwiebelsaft mit Fenchelhonig. Wie in Trance flitze ich durch die Wohnung, doch mir wird klar: Das ist nicht zu schaffen – mit beiden Kids bis 8:00 in die Schule im Nachbarort zu düsen.

7:30 – Wir hocken noch beim Mango-Ananas-Salat – da klingelt’s an der Haustür. Joy will schon losstürmen und öffnen. »Stooop! Erst mal gucken, wer das ist um diese Zeit!« Alle drei stecken wir die Köpfe aus dem Dachfenster, doch kein Mensch steht am Hoftor. »Klingelstreich«, mein Joy. »Dingdong!« Schon wieder – ich geh ins Gästeklo, steig auf die Brille und schau durchs Fenster auf den Hof. Vor der Haustüre steht unsre nette, rundliche, amerikanische Nachbarin mit ihrem Zwerpudel Muffin – klasse Name, tschuldigung 🙂

»I’m so sorry! Could you please call a locksmith. I left my key in the house and closed myself out!« Sie klingt wirklich verzweifelt. Na sicher werde ich ihr helfen. »Jungs, ihr könnt entspannt weiterfuttern – ich muss telefonieren. »Wen rufst Du an?«, will Joy wissen. »Die Vermieterin, wenn ich sie finden kann, oder den Schlüsseldienst.« Google-di-doogle – da ist sie schon und auch gleich an der Strippe. Die erste gute Tat für heute. Nachbarin gerettet und ein echtes Alibi für Zu-spät-in -die-Schule-kommen. Ja, dieser Tag wird gut, auch wenn hinter uns die Hütte abbrennt. Tatsächlich sind wir heute ne halbe Stunde zu spät – mea culpa, Frau Müller.

Au dem Schulhof treffe ich Ute. Sie hat jeden Morgen so ziemlich den weitesten Schulweg mit über 50 km zur Waldorfschule und ist extrem abhängig von den Staus auf der A3. Heute ist sie – wie wir – passend zu spät, um mir kurz darauf im Café Galao bei Rühreier mit Schinken und Käse gleich zwei gute Tips für den Tag zu stecken. Als Erstes will sie mir morgen eine angebrochene Flasche homöopathischen Hustensaft ihres Sohnes mitbringen, der den gleiche Reizhusten wie Joy und Ray hatte. Das Zeug hat ihm ihm offensichtlich schnell geholfen – bin mal gespannt. Dann erzählt sie mir von Mutter-Kind-Kuren und schwärmt vom Allgäu, wo sie mal war. Sie legt mir nahe, so was mal in Erwägung zu ziehen. Ja, am Limit zu arbeiten – dass kenne ich sehr wohl. Ich denk sicher drüber nach und informiere mich mal.

U7A beim Büffeldoktor

11:00 – »U7A« nennt sich eine neue Vorsorgeuntersuchung für Kinder zwischen 3 und 4. Ray war eigentlich nicht so scharf auf diesen Arztbesuch – er war ja letzte Woche schon mal da -, doch ich habe ihn freundlich überredet, und nun sitzen wir spielend im Elefantenzimmer. Von der netten Helferin lässt er sich problemlos messen und wiegen, während ich einen Fragebogen ausfülle. Dann fliegt die Tür auf und der Arzt – ein robuster und beherzter Kerl, den ich eigentlich mag, weil er immer kurz, knapp und direkt ist – stürzt herein. Nun, ich bin aber auch schon halbwegs erwachsen. Mit ausgestrecktem Arm und dem Charme eines Büffels kommt er auf uns zu und will Ray begrüßen. »Nee? Aber ein Gummibärchen magst Du doch? – Na, wenn Du schmollst, dann eben nicht!« Als er den bereits weinenden Kleinen abhört und dann das Holzstäbchen zwischen die Zähne presst, frage ich ihn, ob es nicht auch etwas ruhiger und langsamer geht. »Kleine Kinder mögen’s, wenn’s schnell geht!«, bekomme ich zur Antwort, und dann stellt er mir die gleichen Fragen, die ich eben bereits auf dem Bogen beantwortet habe. Nur wenig später ist er wieder aus dem Behandlungszimmer – toller Auftritt! »Der war ja ganz schön ruppig«, meine ich zu Ray, »Ja, der Arzt war ruppig! Nach Hause fahrn! Anziehn!«, klagt er weinerlich. Während ich Ray wieder in Hose und Hemd stelle, habe ich bereits eine klare Entscheidung getroffen: Der Büffeldoktor sieht uns nicht wieder. Da gibt es bestimmt noch andere nettere Tiere mit Hörgerät um den Hals.

Hustenmonster und TNT

Wir fahrn erst mal nach Hause und mampfen zusammen Honigbrot mit Kinderkaffee – das ist Hafermilch mit Getreidekaffee – lecker! Joy’s rote Strat eingepackt – denn heute ist Gitarrenuntericht – und wieder zurück zur Schule nach Dietzenbach. Nach dem Abholen höre ich, wie eine Mutter auf dem Pausenhof  gerade die Hustengeschichte ihrer Familie erzählt, und wir bemerken – die Kerle haben wohl alle das gleiche Hustenmonster eingefangen. Für morgen wollen sich die Jungs bei ihnen treffen – das wird bestimmt ’ne lustige Hustenparty, wenn die Brüder wie ein Rudel Wildhunde durch den Wald bellen. Wenigstens besteht keine Ansteckungsgefahr, wenn alle das Gleiche haben. Joy holt zum Abschied seine E-Gitarre aus dem Kofferraum und spielt für seinen Kumpel ohne Verstärker die Akkorde von »TNT«.

Ray pennt schon die ganze Zeit im Auto und wir beschließen, heute ausnahmsweise mal nicht zu Hause zu essen. Das »Sowieso« liegt in der selben Straße wie Joy’s Gitarrenunterricht, und wir sitzen im Freien direkt neben dem Auto und können können den Kleinen im Kindersitz beobachten. Pünktlich zu Spaghetti Carbonara und Apfelschorle wacht Ray auf, aber statt Nudeln steht er heute eher auf Tiramisu mit Erdbeeren – so ein Süßmaul. Diesmal hat Joy wirklich gut geübt: »TNT« von ACDC zupft er dank youtube schon in Orginalgeschwindigkeit, und nach dem Unterricht strahlt er zusammen mit seinem Lehrer Thomas: »Es gibt was Neues von ACDC auf – »Thunderstruck«. Oh, ich liebe dieses Stück und freu mich für Joy – das richtige Musikzusatzprogramm für einen Waldorfschüler. Ja, die Welt ist bunt.

Raumschiff bauen … und ne Wurst im Bauch

16:30 – Zu Hause verschwindet Joy sofort und ist im Garten mit Sonja am Raumschiff zimmern. Ich helfe noch beim Holzeinspannen und hole Nägel und Werkzeug. »Lass die japanische Baumsäge im Schuppen und benutz die Kindersäge! Das Ding ist zu groß und hundescharf – und nicht freihändig sägen!« Ray klebt die ganze Zeit auf meinem Arm – er hat was im Bauch, was bald raus will.

17:00 – Da Oma weg ist, geht Ray mit in die Klavierstunde und ist auch ganz friedlich auf meinem Schoß. Irgendwann will er aber hoch ins Spielzimmer. Da geht die Tür auf, Krankenschwester Sonja stürmt herein und gibt einen genauen Unfallbericht bevor das Opfer – mein Sohnemann – mit blutender Hand hereinkommt. Schön in die Haut geritzt. »Ist das von der Kindersäge?« – »Nein, die dauert viel zu lange und Sonja hält nicht richtig fest!« Ich schüttle den Kopf und male mir lieber nichts aus, was nicht ist – aber die Wunde sieht sauber aus. »Lass es trocknen und ruh Dich erst mal aus.« Fünf Minuten später sind die beiden schon wieder beim Raumschiffbau. Die Klavierstunde ist zu Ende und ich bedanke mich bei der Schülerin für ihr Verständnis.

Ray wird jetzt echt zapplig, und ich pack schon mal den Kindersitz auf die Klobrille. Endlich isses soweit – sauber getimet und nichts ist in der Hose gelandet. Ray akzeptiert den Kindersitz immer erst, wenn’s schon fast unterwegs ist und will davor nicht vom Arm runter. Joy ist in seinem Alter immer wie ein kleine Dampfwalze durch die ganze Wohnung gejoggt, wenn er musste. So verschieden sind Brüder. Jedenfalls sitzt der Kakameister  jetzt auf dem Schleudersitz und ich melde mich kurz ab.

»Täääng … ich brauch den Schnulli« – »Ja-ha, ich komme gleich … ich mach selber Kaka!«, rufe ich vom anderen Klo durch die Wohnung und muss mich auch noch hetzen bei meiner heiligen Handlung. Der Schnulli, den er irgendwo im Wald gefunden hat, liegt auf der Garderobe und landet im Mund des Gebieters. Als ich mich zu im setzten will – das mag er sonst sehr gern – nuschelt es durch den Schnulli: – »Rausgehn! – Türe zu!« – »Okay, okay.« Ich beschließe, dass dieser köstliche Dialog in den Blog muss und tippe es flux in WordPress, damit nichts verloren geht.

»Kaka apputzen!« – »Ja-ha, ich komme schon!« – Klopapier, nasser Waschlappen, nochmal Klopapier – ferdisch! »Joy! Schluss machen da unten!«, rufe ich durchs Dachfenster in den Garten. »Was macht ihr?«, tönt es zurück. »Geschäfte!« – »Dann macht mal erst fertig, ich komme gleich!« – So, jetzt hole ich den Bruder aber mal hoch, Hausaufgaben machen. Klein Ray hat sich wie durch Zauberhand von einem klettenartigen Auf-dem-Arm-Kind wieder in einen fröhlich singenden und reimenden 3-Jährigen verwandelt, der im Spielzimmer hockt und beim Duplobauen sauber ein bekanntes Lied intoniert. Ich traue meine Ohren kaum: »Bob, der Scheißer, können wir das schaffen – Bob, der Scheißer, jo wir schaffen das!«

Alles im Fluß

»Tääng – komm mal runter, die Nägel gehn nicht rein!« Okay, da Ray jetzt wieder nach anderthalb Tagen Anhänglichkeit – ist immer so bei Kaka, die rauswill, aber nicht so einfach kommt – friedlich für sich spielt, kann ich jetzt runter in den Garten. Cooles Raumschiff … sieht aus wie das Spaceshuttle. Die Nägel an den Holzflügel stehn etwas krumm hervor und brauchen den beherzten Hammerschlag des Vaters. Doch was ist das? Ich starre wie angewurzelt auf die Hauswand. Wie Einschläge aus Kanonenbeschuss prangen die braun auf weißen Flecken an der Wand und stechen mir Wunden in die Augen! Aber es sind keine Einschläge – es sind Aufschläge. Treffer von selbstgemachten Erdkugeln. »Was ist das?« In meinem Kopf rattert es schon, und ich frage mich wie ich die Dinger ohne bleibende Flecken wieder wegkriege. »Ich hab nur auf’s Dach geworfen – bis auf ein, zwei Mal. Sonja konnte nicht so hoch werfen.« – »Aber Du hast angefangen!« – »Nein, Du!« – »Aufhören! – Das ist jetzt total egal. Seht euch das mal an. Zum Glück hast Du nicht ins offene Dachfenster getroffen, Joy. Wisst ihr, wie ich dass ohne Riesenleiter wieder abkriegen soll?« – »Vielleicht mit dem Gartenschlauch, das wär bestimmt lustig.« – »Prima Idee, Joy, und dann läuft die Dreckbrühe die ganze Wand runter. Nee, für heute ist erst mal Ende Banane. Werkzeug einpacken, den Flieger mithochnehmen …« – »Das ist ein Raumschiff, Papa!« – »Ja, okay – das Raumschiff!« Während die Kids einpacken, teste ich an einem der unteren trockenen Treffer, ob sie mit einer Bürste wegzuschrubben sind – naja, ein bisschen sieht man noch, aber mit Wasser will ich vorsichtig sein – sonst hab ich dann hellweiße Flecken auf einer grauweißen Wand. Das Ganze sollte nur weg sein, bevor Oma aus dem Urlaub kommt.

Dieser Abend verläuft vergleichsweise friedlich. Ich kann mich jedenfalls jetzt beim Schreiben – zwei Tage später – nicht mehr an Außergewöhnliches erinnern. Auch die Nacht wird nur von ein paar »normalen« Hustenanfällen unterbrochen. Ja, das war’s mal wieder aus der Single-Dad-Reality-Soap.

P.S. – Ohne jetzt in allzu große Selbstbetrachtung zu verfallen – das mach ich vielleicht später mal – fällt mir auf, dass so ein Tag wirklich wie ein Fluss ist, der mal wild, mal friedlich durch seinem Bett rauscht. Je mehr ich solch Alltägliches niederschreibe, desto mehr wird mir klar, was das für ein abwechslungsreiches Abenteuer ist, in dem ich gerade lebe. Ich hoffe, ihr könnt euch vorstellen, wieviel Lachen und Freude die Lücken zwischen diesen – manchmal problematischen – Situationen erfüllt. Ich lasse mich davon gerne anstecken und lache lauthals mit.

Foto: © B.M.Tang

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3 Responses to Schlüsseldienst, U7A, ACDC und Kaka abputzen

  1. ximena sagt:

    TANG,
    DU bist soein lieber VATER , EIGENLICH SOLLTE ICH DIR BEI MUTTER TAG GRATULIEREN.
    ICH BIM STOLZ VON DIR UND JUNGS, FREU MICH SEHR DAS MEIN JOY GIETARRESPIELT

    IN LIBE XIMENA – Santiago de Chile

  2. Angelika Diem sagt:

    Gute Besserung für die Opfer des Hustenmonsters.
    Das war wieder sehr unterhaltsam zu lesen. Kennen Sie den Songtext von Reinhard Mey „Aller guten Dinge sind Drei“ – an den musste ich denken, als ich Ihren Eintrag las.
    http://www.songtexte.com/songtext/reinhard-mey/aller-guten-dinge-sind-drei-33da0495.html

  3. Tang sagt:

    Nachtrag nach etwa einem Jahr Abstand – Ende Februar 2011

    Die Hustengeschichte meiner Jungs und einiger Hustengenossen aus der Waldorfschule gab sich nach etlichen Fehldiagnosen durch Haus- und Kinderärzte als Keuchhustenzeit zu erkennen. All diese ungeimpften Brüder und Schwestern haben diese heftige Zeit jedoch ohne Probleme – soweit ich das beurteilen kann – überstanden und erfreuen sich heute bester Gesundheit. Ich habe sogar den Eindruck, dass sie die ganze Erkältungs- und Grippewelle der kalten Jahreszeit ziemlich locker und abgehärtet durchlebt haben. Ich will damit meine kritische Einstellung zum Impfen nicht allzu sehr an die Glocke hängen, doch wer sich da unsicher ist, darf mich gerne kontaktieren und vielleicht von unseren Erfahrungen provitieren.

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