Reise zum
Dalai Lama


Im Dezember 2001 besuchte der Dalai Lama die toscanischen Kleinstadt Cecina Mare in Italien, um dort vor großem Publikum mehrere Tage zu sprechen. Ich durfte als Dolmetscher für ein Exklusiv-Interview mit Freunden dorthin reisen und bin völlig verändert zurückgekehrt.

Dalai Lama – Ozeangleicher Lehrer

… so lautet die Übersetzung aus dem Mongolischen. Dieser Name wurde erstmals als Ehrentitel im Jahre 1578 vom mongolischen Fürsten Altan Khan an Sönam Gyatsho verliehen.

Am 22. Februar 1940 wurde im Alter von 4½ Jahren der tibetische Mönch Tendzin Gyatsho als 14. Dalai Lama durch die Sitringasol-Zeremonie inthronisiert. Tibeter sprechen vom Dalai Lama normalerweise als Yishin Norbu (alle Wünsche erfüllender Edelstein) oder einfach als Kundün (Gegenwart). – zitiert aus Wikipedia –

Alles war ganz schnell gegangen. Es war Ende November, als ich früh morgens den Anruf von Fatma erhielt. Sie stellte sich als eine Freundin einer Freundin einer Freundin vor und fragte mich, ob ich als Dolmetscher für ein Exklusiv-Interview mit dem Dalai Lama mit nach Italien reisen würde. Ich lag noch im Halbschlaf und wusste im ersten Augenblick gar nicht, was ich sagen sollte. Etwas später rief ich sie dann zurück, um sicher zu gehen, dass ich nicht geträumt hatte. Spontan und ohne nachzudenken sagte ich ihr zu. Ein solches Geschenk des Himmels musste ich einfach dankbar annehmen.

Über meine Englischkenntnisse hatte ich mir bis dahin noch gar keine Gedanken gemacht. Ich machte Fatma darauf aufmerksam, dass ich zwar recht gut Englisch könne, aber ob das für echtes Dolmetschen ausreichen würde, wusste ich nicht. Ich hatte so was schließlich bis zu diesem Zeitpunkt noch nie gemacht. Es sei alles o.k. so, versicherte mir Fatma und erkärte mir, dass ihr die innere Kommunikation mindestens genau so wichtig sei wie das reine Übersetzen. – Na gut, dachte ich, ich geb einfach mein Bestes – alles wird schon seinen Sinn haben und irgendwie gut gehen.

Knapp zwei Wochen später reisten wir zu dritt – Fatma, Gisela und ich – in die herbstsonnige Toscana nach Cecina Mare, wo vom 30.11. bis 3.12.2001 seine Heiligkeit, der Dalai Lama zu Gast war, um vor ein paar tausend Menschen zu sprechen.

Fatma, die damals als Journalistin für eine türkische Zeitung arbeitete, hatte für den Samstagmorgen einen Interviewtermin bekommen. Ihre Fragenliste hatte ich bereits zu Hause mit Roberta – der Freundin der Freundin – vom Deutschen ins Englische übersetzt. Es waren vor allem Fragen zur aktuellen Politik, Religion und Weltfrieden, sowie über die Vision für die Zukunft der Menschheit. Ich weiß gar nicht, ob die Aufzeichnungen des Gesprächs jemals veröffentlicht wurden, aber das spielt verglichen mit den Erlebnissen während der Begegnung mit dem Dalai Lama aus heutiger Sicht eher eine untergeordnete Rolle.

Das Interview und Antworten ohne Worte

dalai_lama_2001_07Das Glück wollte es, dass wir sogar noch einen zweiten Interviewtermin mittags bekamen und so insgesamt über eine Stunde mit diesem weisen Mann verbringen durften. Er hatte uns spontan seine Mittagspause geschenkt, nachdem er am Morgen Fatmas große Traurigkeit darüber gespürt hatte, in der halben Stunde Interview nicht genügend Zeit für all ihre Fragen zu haben. Eine solche Entscheidung aus purem Mitgefühl wurde, angesichts der wartenden Menge an Journalisten aus der ganzen Welt, von einigen seiner engsten Mitarbeiter mit Kopfschütteln, von mir aber mit stiller Bewunderung wahrgenommen.

Die Antworten des Dalai Lama währen des Interviews waren geprägt von seiner Doppelrolle: höchster Lehrer und Meister der tibetischen Buddhisten und zugleich politisches Staatsoberhaupt im Exil. Sie waren sehr diplomatisch, aber immer geleitet und durchdrungen von einer unerschütterlichen großen Liebe für alle Menschen. Beim zweiten Termin am Mittag hatte man der Einfachheit halber den Dolmetscher geholt, der währen der Veranstaltung die tibetisch-deutsche Simultanübersetzung machte. So verlief das Gespräch viel spontaner über die Muttersprache des Dalai Lama und ich selbst konnte als Beobachter noch viel bewusster die innere nonverbale Kommunikation spüren und diese Ausstrahlung auf mich wirken lassen. Im Grunde waren mir persönlich die Fragen und Antworten auch gar nicht so wichtig. Es war die Freundlichkeit und Gelassenheit dieses Mannes, die mich vor allem anderen tief beeindruckt und nachhaltig berührt hat. Er erschien mir so in sich ruhend und gleichzeitig offen für alles um ihn herum. Ich hatte während des ganzen Aufenthalts das tiefe Gefühl, diesen inneren Frieden mitzunehmen und auf alles um mich herum übertragen zu können. Das war es wohl, was mir diese Begegnung zeigen sollte und zugleich das große Geschenk an mich.

Ich muss zugeben, dass mir vieles von dem, was ich hier berichte und nun auch in Worte fassen kann, erst über die Jahre so richtig bewusst geworden ist. Eines jedoch war mir schon gleich nach unserer Rückkehr nach Deutschland nicht mehr möglich: Ich konnte keine Seminare mehr darüber geben, wie man mit Gedanken Realität erschafft. Dieses Thema, das mich für einige Jahre sehr beschäftigt und begeistert hatte, erschien mir nun in einem völlig anderen Licht. Es war spannend gewesen, ein bisschen so wie Zaubern – aber mit einem Mal hatten all die Tricks und Kunststücke ihren Reiz verloren. Doch erst die Begegnung mit Eckhart Tolle in München im darauf folgenden Jahr (2002) sollte mir mehr Klarheit verschaffen, welche Veränderung da tatsächlich in mir stattgefunden hatte.

Zurück zum Dalai Lama. Auch heute noch – besonders wenn ich ab und zu mal wieder mit mir oder meinen Kindern rumackere und etwas zu streng bin – erinnere ich mich gerne an diesen beeindruckenden Mann, dem das Lachen immer ins Gesicht geschrieben steht. Dann taucht manchmal dieses Lächeln in meinem Innern auf, windet sich durch mich hindurch und findet seinen Weg auf meine Lippen. Gelassenheit und Heiterkeit kehren zurück und ich weiß: Alles ist gut.

Eine der beiden Freundinnen, über die diese ganze ungewöhnliche Verbindung und Reise zu Stande kam, ist Gisela Mapapa. Sie hat uns damals nicht nur liebevoll begleitet, sondern mir auch später einen schönen Artikel des Dalai Lama vom Dezember 1999 – er war damals 65 Jahre alt – kopiert, der gut zu diesem Reiseerlebnis passt, und den ich euch nicht vorenthalten möchte:

Dalai Lama: Wir sind alle gleich

dalai_lama_2001_01Durch seine warme, charismatische Ausstrahlung
machte er den Buddhismus auf der ganzen Welt salonfähig.

In AMICA erzählt der »Boss« der Tibeter
von der Suche nach dem Glück

»Es ist nicht nötig, ein Buddhist zu sein, um an buddhistischen Prinzipien wie der Gewaltlosigkeit Gefallen zu finden. Diejenigen, die jedoch erwarten, ich könnte Wunder wirken, muss ich leider enttäuschen. Ich bin nur ein kleiner älterer Herr, der von seinem Grundrecht Gebrauch macht, seine Meinung zu sagen. Ich persönlich glaube nicht daran, daß es Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten gibt. Aber ich könnte mich irren. Ich habe da ein Problem mit meinem Rücken – falls jemand einen Wunderheiler kennt, möge er ihn bitte zu mir schicken.

Meine Botschaft lautet ganz einfach: Wir sind alle gleich. Wir alle suchen nach Glück. Buddhismus ist eine von zahlreichen Möglichkeiten, fündig zu werden. Er ist weder besser noch wichtiger als jede andere. Auch ich selbst bin weder besser noch wichtiger! Wenn ich mich gelegentlich doch überlegen fühle, dann suche ich nach Aspekten, in denen ich geringer bin. Zur Not nehme ich das Haar. Ich habe eine Glatze. In dieser Beziehung kann mich also fast jeder übertrumpfen. Jeder Mensch ist auf eine Weise besser als man selbst, und das sollte man nie vergessen.

Denn Glück ist nicht möglich, wenn man sich selbst über andere stellt. Was geschieht zum Beispiel mit reichen Leuten, die denken, sie seien besser als arme? Sie leben in Angst und Misstrauen, hinter hohen Mauern und Zäunen. Sie können ihren Besitz nicht wirklich genießen. Ist es nicht klüger zu teilen, als darauf zu warten, bestohlen zu werden? Nur Gleichheit kann dazu führen, daß Verbrechen verschwinden und die Welt besser wird.

Ungleichheit verursacht Wut und Haß. Beides sind starke Energien. Es ist jedoch sehr fragwürdig, sich in Handeln und Denken von ihnen leiten zu lassen. Wer zum Beispiel einen Nachbarn hat, der einen schikaniert, und sich von seiner Wut leiten lässt, der wird schon bald seine gesamte Energie darauf verwenden, über den Nachbarn nachzudenken. Davon bekommt er Verdauungsprobleme, Schlafstörungen, graues Haar und Falten. Seine Freunde besuchen ihn seltener, weil er keine Zeit mehr für sie hat, sondern nur für seine Wut. Er wird einsam und krank, seine Lebensqualität leidet und der Nachbar freut sich. Die beste Methode, sich an dem bösen Nachbarn zu rächen, ist, glücklich zu sein. Man gibt ihm die Botschaft: Dein Verhalten hat keinen Einfluss auf mein Glück.

Auch die Chinesen haben am wenigsten damit gerechnet, daß ich überall auf der Welt Anhänger fand. Mit 15 Jahren verlor ich meine Freiheit, mit 24 mein Land. Wäre ich verzagt gewesen und hätte nicht an mein eigenes Potenzial geglaubt, dann wäre ich jetzt nicht der glückliche Mensch, der ich bin. Ehrgeiz hilft bei der Suche, solange er sich nicht gegen andere richtet, sondern das Ziel hat, das Beste aus sich selbst herauszuholen.

Auch Selbstdisziplin ist eine sehr wichtige Eigenschaft. Die allerwichtigste: ein netter Mensch zu sein. Dabei ist es nicht immer möglich, Konflikte zu vermeiden. Zur Lösung kommt nur der Dialog in Frage, wobei die eigenen Interessen weniger wichtig sind. So ist ein 40-zu-60 Kompromiß das beste Ergebnis, das sich erzielen läßt. Ich persönlich behandle meine Feinde wie besondere Kostbarkeiten. Nur wenn ich ihnen gegenüber die Prinzipien von Altruismus und Pazifismus anwenden kann, habe ich sie wirklich verinnerlicht. Es ist allzu einfach, ein guter Mensch zu sein, wenn man nur von Freunden umgeben ist. Feinde sind die besten Gurus.«

Gastkommentar in AMICA 12/99, aufgezeichnet von Petra Mikutta

* * *

Fotos: © privat

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6 Responses to Reise zum Dalai Lama

  1. Anne Marsell sagt:

    Einfach und genial, ja einfach genial.
    Das verändert wirklich das Leben.
    Danke.

  2. Karen sagt:

    Lieber Tang!

    Das macht wirklich Freude und auch Spass deine Artikel zu lesen. Danke!
    Ich hab mich richtig für dich gefeut, dass du mit dem Dalai Lama zusammen sein durftest. Ich kann mir denken, wie du dich da bei dem Anruf gefühlt haben musst.
    Ich hatte auch einmal ein Erlebnis, als ich meine erste CD gemacht habe, welches mich ziemlich beeindruckt hat. Natürlich nicht wirklich mit deinem Erlebnis zu vergleichen, aber auch etwas sehr Besonderes.
    Ich saß auf unserem Balkon in einer Mietwohnung in Offenbach-Lauterborn, bastelte an einer Pappmaché-Skulptur, und dann klingelte das Telefon und ein Radiosprecher vom HR spielte im Hintergrund meine CD und lud mich ein, ins Studio zu kommen und meine CD vorzustellen. Live! Ich hatte aber keine Zeit!!!

  3. Tang sagt:

    »… Ich konnte keine Seminare mehr darüber geben, wie man mit Gedanken Realität erschafft. Dieses Thema, das mich für einige Jahre sehr beschäftigt und begeistert hatte, erschien mir nun in einem völlig anderen Licht. Es war spannend gewesen, ein bisschen so wie Zaubern – aber mit einem Mal hatten all die Tricks und Kunststücke ihren Reiz verloren …« – Warum?

    Diese einfache und zugleich wichtige Frage erreichte mich per Email, und ich möchte sie hier für alle beantworten:

    Da war keine Stille und Ruhe in meinem Leben. Durch die ständige, fast rastlose Beschäftigung mit diesen Dingen, war ich niemals auf die Idee gekommen, meinen Verstand als spiritus rector zu hinterfragen. Der war und blieb immer Chef in meiner Kopf-Firma. Ja, er war beinahe zu einem übermächtiger Boss mutiert, mit dem ich das Weltgeschehen beeinflussen konnte und Gott spielen durfte.

    Die Quintessenz aber war, dass ich so niemals zur Ruhe kam. Darüber konnten auch die vermeintlichen Erfolge und Glücksmomente auf Dauer nicht hinwegtäuschen. Es ist unerheblich, ob ich mich wie die meisten Menschen tagtäglich mit Vergangenem oder Zukünftigem beschäftige und dadurch das Jetzt ignoriere, oder ob ich dasselbe esoterisch eingepackt mache, indem ich an irgendwelchen geheimen Knöpfen drehe, die mir ein besseres, glücklicheres Morgen verschaffen sollen.

    Den jetzigen Augenblick anzunehmen und damit zufrieden zu sein, verschafft mir inneren Frieden – und zwar augenblicklich. Im Übrigen wäre eine solche Lebenshaltung auch im Sinne der Realitätsgestaltung ideal. Wenn Gedanken Realität schaffen – und davon bin ich durchaus überzeugt -, dann schaffe ich mit einem zufriedenen Leben im Jetzt auch eine glückliche Zukunft – oder besser gesagt das nachfolgende Jetzt. Das aber kann mir gleichzeitig »jetzt« ziemlich egal sein.

  4. Heidi sagt:

    Moin, moin Tang,

    das ist ja ein super informativer Bericht. Danke dafür!
    Toll, das du den Dalei Lama persönlich kennen lernen durftest.
    Alles Liebe und Gute für dich und deine Lieben!

    Herzliche Grüße – Heidi

  5. Wenzel sagt:

    Ich hab mal eine Frage. Ps. – Wenn überhaupt realisierbar!
    Wie und überhaupt machbar, kann man den Dalai Lama kennen lernen? Was gib es – wenn überhaupt – für Möglichkeiten?
    Gruß – Wenzel

  6. Tang sagt:

    @ Wenzel – Lieber Freund,

    ich glaube, um diesem Mann nahe zu sein, musst Du ihm nicht einmal persönlich begegnen. Dennoch sucht der Dalai Lama ja auch durchaus die Nähe der Menschen in verschiedenen Ländern der Erde und hat auch uns hier schon besucht. Wenn Dir eine Begegnung sehr wichtig ist, würde ich mal im Internet schauen. Hier ein Link zu seinem Terminkalender. Ich bin sicher, Du findest Deinen Weg zu ihm. Aber wenn Du im Herzen eigentlich Dir selbst nahekommen möchtest, brauchst Du dazu niemanden außer dem, der Du wirklich bist. An diesem Ort mitten in Deinem Herzen bist Du mit allen vereint und in Frieden. – Das war es letztlich, was ich selbst aus meiner Begegnung mit diesem Mann lernen durfte.

    Namaste

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