Wenn wir uns schon selbst ärgern können, dann können wir uns auch genauso gut freuen. Nach meinem letzten Artikel übers Ärgern und Sorgen machen liegt das ja auf der Hand. Es soll ja auch Zeitgenossen geben, die sich freuen, wenn sich andere ärgern. Eine Art der Schadenfreude. Über diese Form, sich am Missgeschick oder Unglück anderer zu ergötzen, könnte ich mich jetzt schön aufregen – tu ich aber nicht – nur ein bisschen vielleicht ;). Stattdessen liefere ich dazu möglicherweise etwas Erhellendes.

Mitgefühl oder Schadenfreude

Neurologische Untersuchungen an Freiwilligen zum Thema Mitgefühl oder Schadenfreude haben interessante Erkenntnisse ans Licht gebracht. Bei einem Gesellschaftsspiel, in dem sich bestimmte Spieler – bezahlte Schauspieler – fair oder unfair verhielten, wurde durch dieses Verhalten Sympathie oder Antipathie bei den Testpersonen für diese Mitspieler erzeugt. Anschließend wurden den Fair- oder Unfair-Spielern Schmerzen zugefügt. Das Mitgefühl für die Schmerzen der Mitspieler wurde über die Aktivität schmerzrelevanter Gehirnarreale bei den Testpersonen gemessen. Die Auswertungen lieferten den neurobiologischen Nachweis, wie Fairness und soziales Verhalten die emotionale Bindung zwischen Menschen beeinflusst. Kooperation nährt sozusagen diese positive Verbindung, während egoistisches Verhalten, das anderen Schaden zufügt, Mitgefühl nachweislich reduziert oder ganz erlöschen lässt. (Quelle: »Empathic neural responses are modulated by the perceived fairness of others« Nature, Vol 439|26 January 2006)

Im Umkehrschluss frage ich mich, wie sich eine Gesellschaft im Innern fühlen muss, damit einen ganze Sparte der TV- und Film-Produktion mit Beiträgen, die weit über die Slapstick-Torte-ins-Gesicht-Nummer hinausgehen, so großen Zuspruch erhalten kann. Vielleicht stehen wir ja alle so sehr unter Druck, dass wir – da wir die Schuldigen für unsere Unzufriedenheit nicht so recht fassen können – unserem zutiefst verletzten Gerechtigkeitssinn über die Schadenfreude an beliebigen Opfern in einschlägigen »Spass«-Sendungen ein wenig Genugtuung und Linderung verschaffen wollen.

Hoppla, da bin ich ja wohl schon direkt am Anfang ein bisschen von meinem postulierten Thema abgedriftet. Also – zackzack zurück zur Freuerei :).

Freude ohne besonderen Anlass

Die Fähigkeit, sich ohne besonderen Anlass zu freuen, sehe ich tagtäglich bei meinen Kindern. Ich versuche oft, ihnen nachzueifern, habe jedoch manchmal Startschwierigkeiten. Hab einfach zu viele Vorstellungen im Kopf, was denn nun lustig ist oder nicht – siehe oben. Die Kids haben da einen ganz ungetrübten Sinn für Spaß. Spätestens bei Helge Schneider treffen wir uns jedenfalls alle drei. Wenn ich in diese nasale Nuschelstimme verfalle, dann gibt es kein Halten mehr und der wohltuenden Blödelei sind keine Grenzen mehr gesetzt.

»In der Freude fühlt man sich wohl, es sind im Augenblick alle seelischen Bedürfnisse erfüllt.« So steht es bei Wikipedia. Das ist das »wunschlos Glücklichsein«, von dem ich so gerne rede. Sich selbst zu freuen – einfach so, oder an der Schönheit der Welt – löscht oder mildert unsere Wunsch – und Zielorientiertheit augenblicklich. Wir brauchen wenig oder gar nichts in diesem Zustand – das ist Glücklichsein. Aber bedingungslos freuen ist wohl ähnlich schwer wie bedingungslos lieben. Jetzt sag mir blos keiner, dass ich mir mit meiner versteckten Schadenfreude-Kritik nicht auch eine Bedingung gesetzt hätte. Stimmt genau, und zwar eine moralische – und dazu steh ich.

Ich wiederhole mich gerne: Wie beim »Sich Ärgern« ist auch »Sich Freuen« das einzige, was wirklich geht. Klar, ich kann jemandem eine Freude bereiten – aber nur dann, wenn er »sich« auch darüber freut. Ich liefere den Anlass – er darf »sich« freuen – oder auch nicht! Das ist doch wahrlich befreiend, oder? Es liegt völlig in unserer Macht, all diese geliebten und ungeliebten Emotionen in uns zu erzeugen. Welche das sind, regelt vor allem der Verstand mit seinen diversen Filtern und Vorstellungen. »Wo der Verstand auf den Körper trifft, entsteht Emotion« sagt uns Eckhart Tolle ganz richtig. Das mag uns gerade bei den unangenehmen Gefühlen nicht so recht schmecken, trifft aber dennoch zu.

Gefühle mit dem Kopf kontrollieren?

Wer mal versucht hat, seine Gefühle – vor allem die negativen – mit dem Kopf zu kontrollieren, kann sicher von einem schier unmöglichen Unterfangen berichten. Der Verstand wird nur schwerlich etwas kontrollieren oder abschaffen, was er selbst erfunden und installiert hat. Aber er kann vielleicht das Absurde oder Paradoxe erkennen und den Schaden beobachten, den er mit seiner Denkerei anrichtet. EIn gut trainierter Mind wird aber versuchen, die Verantwortung dafür sehr schnell wegzudiskutieren und das Thema zu wechseln. Für diese Erkenntnis braucht es ein gewisses Maß an Bewusstheit und die Bereitschaft, das Denk-System in Frage zu stellen und vor allem – mal still zu sein.

Mit Kinderaugen durch die Welt zu spazieren, die Wunder zu sehen, die ständig um uns sind – zaubert schnell ein Lächeln in mein Gesicht. Dieses kann mich im Grunde ständig begleiten, wenn wir unsere sanfte Aufmerksamkeit aufrecht erhalten. Dann werden alle Aufregungen zu Stürmen im Wasserglas. Ich bin beteiligt und zugleich Beobachter. Ach ja, das klingt richtig klasse, wenn ich das so schreibe. Geht runter wie Öl – nee das ist aber bäbä – besser wie mit heißem Espresso übergossenes, angeschmolzenes Tartuffoeis – einfach unwiderstehlich. Und die noch bessere Nachricht ist: Die schlimmen Gefühle brauchen wir nicht loszuwerden oder wegzudenken. Die werden in Tartuffo und Espresso gebadet und im Bauch zu Schokolade verarbeitet – Bitter mit Süß.

Ich mag diesen Vergleich, weil er illustriert wie Freude und Gelassenheit den Ärger vertreiben kann. Es braucht ja immer ein gewisses Maß an Starrsinn, um in der Wut zu bleiben. Also kann uns das Gegenteil von Starrsinn auch herausführen: die bewegten, offenen Sinne, die den Blick auf das Ganze nicht vernageln. Damit mich niemand falsch versteht! Ich finde nichts in unserer menschlichen Gefühlspalette verwerflich oder unannehmbar. Im Gegenteil – das ganze Repertoir gehört zum dynamischen Umfang unseres Orchesters. Ich versuche lediglich, meinen subtilen Einfluss auf die Musik wiederzuerlangen, die da gespielt wird. Als Komponist und Dirigent möchte ich das ganze Potenzial des Orchesters nutzen und hören – und nicht unkontrollierte, wild gewordene Instrumente, die mir chaotisch ihre Kakophonie aufdrängen.

Das Leben ist wie ein musikalischer Fluss

Das führt mich zu meinem Lieblingsabschnitt. Mein Orchester, sprich mein kreatives Potential mit all seinen Ausdrucksformen, spielt »jetzt« immer richtig und in Harmonie! Ich kann nichts falsch machen! Ich muss gar nicht dirigieren – die Musiker spielen immer richtig – ob fortissimo oder piano, hinein in die Durchgangsdisonanz und wieder zurück in die Harmonie. Das klingt nicht langweilig, sonder richtig prickelnd und interessant. Aber wie die Musik ist das Leben eine fortlaufende Reihe von Augenblicken, die wir als kontinuierliche Bewegung wahrnehmen. So wie wir den musikalischen Fluss nicht mit unangebrachten Zwischenrufen und Pausen unterbrechen wollen, sollten wir das auch mit unserem Leben handhaben. Ich kann auf Seite 3 Takt 14 im jetzigen Augenblick nicht die Noten der ersten Seite oder des Finales hineinspielen. Damit ruiniere ich das Stück! Damit es gut klingt, muss ich die Note spielen, die gerade dran ist und nichts anderes. Aber wie in der Musik dürfen wir glücklicherweise ja eine Weile üben vor der großen Aufführung.

Damit habe ich indirekt schon wieder das Glücklichsein beschrieben – der vorherrschende innere Zustand während des kreativen Flusses. Ganz umspektakulär breitet sich diese tiefe Zufriedenheit in uns aus, wenn wir aus unserem Zentrum heraus agieren und den Strom des Lebens fließen lassen. Die wechselnde Dynamik – Felsen, Klippen, Stürme und die Flauten – tun dem kein Abbruch. Der Abbruch erfolgt nur durch die Beschäftigung mit der Zeit, mit allem, was nicht ansteht. Dann stoppt der Fluss und die Musik reist ab. Aber zum Glück können wir zu jeder Zeit – wenn sich die Aufregung gelegt hat – wieder gemeinsam ab Takt 14 beginnen :).

Foto: © Noam | fotolia.com

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2 Responses to Sich freuen und glücklich sein

  1. Doerte sagt:

    Lieber Tang,

    vielen Dank für diesen wunderbaren Beitrag, das konnte ich gerade gut gebrauchen. Du findest wirklich immer wieder wunderbare Worte, Vergleiche und Gedanken, um ein wenig Klarheit in den Lebensdschungel zu bringen!

  2. Berenike sagt:

    Tang, Du machst mir Freude mit Deinem Artikel! Hab Dank!

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